Mein Freiwilligendienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste – ein Brief von Sofie Gebhardt
(sg – 10.12.24) Hallo zusammen, da dieser Brief nicht nur an Menschen geht, die mich seit Kindertagen kennen, möchte ich mich zunächst nochmals kurz vorstellen. Ich heiße Sofie Gebhardt, bin 19 Jahre alt und habe letzten Sommer mein Abitur bestanden. In meiner Freizeit spiele ich gerne Fußball und treffe mich mit meinen Freunden.
Als junger Mensch erfüllt es mich zunehmend mit Sorge, wie sich rechtsextreme Gruppierungen in unserer Gesellschaft ausbreiten und Angst und Vorurteile schüren. Gerade in einer Zeit der Unsicherheit möchte ich ein Zeichen dafür setzen, dass Diskriminierung, Hass und Gewalt keinen Platz haben sollten. Auch möchte ich nicht, dass sich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder bei uns bedroht fühlen und die Grundlagen unserer Demokratie unterwandert werden.
Ich fand eine Organisation, die mich bei genau diesem Vorhaben unterstützen würde: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF). Seit über 60 Jahren setzt sich Aktion Sühnezeichen Friedensdienste als Verein für Erinnerung, Verständigung und Menschenrechte ein. Die Organisation engagiert sich für ein friedliches Miteinander in der Welt, macht sich für die Schwachen in der Gesellschaft stark und trägt zu einer menschlichen Zukunft bei. Junge Menschen leisten durch Freiwilligendienste einen wertvollen Beitrag zur Versöhnung und stärken den Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und Ländern.
Als junger Mensch bin ich sehr froh, meinen Teil hierfür beitragen zu können und einen Freiwilligendienst bei ASF absolvieren zu dürfen. Ich arbeite nun seit September im Jüdischen Museum In Brüssel. Zu meinen Aufgaben gehört das Archivieren, Digitalisieren und die Bibliotheksarbeit des Museums sowie die Mitarbeit und Organisation von Workshops. Ich finde es großartig ein Teil einer informierenden Einrichtung zu sein, die uns allen die jüdische Religion, Kultur und Geschichte näherbringt.
Nach diesen einleitenden Worten möchte ich euch jetzt ein bisschen mit in meinen beruflichen Alltag nehmen, euch aber gleichzeitig aufzeigen, wie ich meine Freizeit verbringe.
Meine Wochenarbeitszeit beträgt 38 Stunden. So arbeite ich jeden Tag von 9-17 Uhr. Allerdings darf ich, nach gewissen Nachverhandlungen, montags und mittwochs bereits um 16 Uhr gehen. An einem normalen Arbeitstag kümmere ich mich vor allem um unsere Bibliothek. Das Museum verfügt über unzählige Bücher, die digitalisiert werden müssen. Ich trage dafür wichtige Informationen in ein Online-Dokument ein. Zum Beispiel den Autor, das Erscheinungsdatum sowie passende Schlüsselwörter. Ich habe dabei auch die Möglichkeit, mich tiefergehend mit verschiedenen Büchern auseinanderzusetzen. Biografien, Bücher über den Krieg und die Verfolgung, aber auch Kunstbände – hier findet man einfach alles. Natürlich habe ich auf der einen Seite meine
Aufgaben, aber manchmal versinke ich auch einfach in dem einen oder anderen spannenden Buch. Wenn ich mich nicht um die Bibliothek kümmere, dann werde ich teilweise für Übersetzungsarbeit eingesetzt oder ich lerne mit Excel, Statistiken über Besuchergruppen zu erstellen.
Unser Museum ist leider gerade für die Öffentlichkeit geschlossen, da ein großer Umbau vor der Tür steht. Das ist ein bisschen schade, da dadurch viel meiner Arbeit am Schreibtisch stattfindet. Nichtsdestotrotz kommen immer mal wieder Schulklassen und Besuchergruppen zu uns ins Museum. Ich sorge dann dafür, dass die Räume vorbereitet sind. Ein kleiner Ausstellungsteil ist auch immer noch vorhanden. Auch gibt es während des Jahres verschiedene Events. In diesen Fällen unterstütze ich das Team bei der Organisation, indem ich beispielsweise die Garderobe betreue oder mich um das Buffet kümmere. Zurzeit ist auch ein gleichaltriger Praktikant mit mir im Büro, der im Rahmen seines Geschichtsstudium bei uns mitarbeitet. Zugegebenermaßen macht die Arbeit zusammen auch doppelt Spaß und gemeinsame Kaffeepausen verschönern mir den Alltag. Alle Mitarbeiter*innen angefangen vom Hausmeister über das Sicherheitspersonal bis hin zu den Archivar*innen und Historiker*innen sind sehr nett und haben mir einen guten Einstieg in meinen Freiwilligendienst ermöglicht. Ich bin gespannt in welchem neuen Glanz das Museum in ein paar Jahren erleuchten wird. Die Umbaupläne sind auf jeden Fall sehr vielversprechend und beeindrucken mit seiner Architektur. Allerdings vermute ich, dass noch einige Jahre ins Land ziehen werden, bis alles fertig ist.
Aber mein Leben besteht natürlich nicht nur aus Arbeit. Ich lebe nämlich in Brüssel, einer der internationalsten und politischsten Städte der Welt. In meiner ersten Woche in Brüssel fand ein sogenanntes länderspezifisches Seminar statt. Daran teilgenommen haben alle Freiwilligen, die ihr Jahr in Belgien verbringen würden. Wir waren gemeinsam in einer Jugendherberge untergebracht und hatten die Möglichkeit die Stadt besser kennenzulernen. Außerdem hatten wir gleich die Möglichkeit das Europäische Parlament zu besuchen und an einem Event angesichts des jüdischen Feiertages „Rosh Hashana“ teilzunehmen. Es war sehr spannend in die politische Bubble einzutauchen, dabei den großen Ratssaal zu bewundern, den ich bisher nur aus dem Fernseher kenne und an dem sonst die Staatschefs aus Europa sitzen.
In dieser Kennenlernwoche haben wir gemeinsam auch unsere ersten belgischen Pommes gegessen. Pommes sind hier ein Nationalgericht und es gibt sie fast an jeder Ecke in allen Variationen. Sehr lecker!! Nach diesen gemeinsamen Tagen machte sich dann jeder auf seine eigene „Reise“.
Ich merkte schnell, was für eine belebte Stadt Brüssel ist. Ich war vor allem davon überrascht, wie viele Menschen sich sonntags auf der Straße befinden. Es gibt praktisch keine sonntägliche Ruhe. Die wunderschöne, denkmalgeschützte Innenstadt ist sehr lebendig und oft mit Touristen überfüllt. Allerdings freue ich mich immer darüber, ein Teil dieser Stadt zu sein.
Es gibt viele kleine Cafés und Bars. Dabei gibt es eine riesige Auswahl an verschiedenen Biersorten. Ich bin eigentlich kein großer Bierfan, aber ich muss sagen das Kirschbier hat mich überzeigt.
Ich selbst wohne in Watermael-Boitsfort. Ich fühle mich in diesem familiären Stadtteil sehr wohl. Ich brauche zwar rund eine Stunde zur Arbeit, aber das machen die hübschen Häuschen und die ruhige Umgebung wieder gut. In einem dieser Häuser wohne ich unter dem Dach. Mein Dachgeschoss ist ein offenes Apartment mit Schlaf- und Esszimmer, kleiner Küche und Bad. Das Haus gehört einer sehr netten älteren Dame. Wenn ich nach Hause komme, begegne ich ihr manchmal und dann quatschen wir kurz über unseren Tag. So wachsen wir ein wenig zusammen und es ist sicherlich ein besonderes Zusammenleben, was mich in gewisser Weise auch prägen wird. Nachdem ich ein wenig Hand angelegt habe und die eine oder andere Ecke dekoriert habe, fühle ich mich inzwischen ziemlich wohl in meinem eigenen Reich.
Ich habe hier in Watermael-Boitsfort auch einen Fußballverein gefunden. Zweimal in der Woche habe ich jetzt Training. Gerade muss ich mich ein bisschen überwinden, weil es langsam wirklich kalt wird und wir immer im Freien trainieren. Aber wenn ich dann dort bin, macht es mir immer sehr viel Spaß. Anfangs musste ich mich ein bisschen an das Niveau gewöhnen. Dienstags kommt extra ein Fitness-Trainer, um uns in Form zu bringen. Und was soll ich sagen, er ist ehrgeizig und scheucht uns über eine Stunde ohne Pause über den Platz. Außerdem, ich konnte es fast nicht glauben, wird bei den Heimspielen 5€ Eintritt verlangt. Ich war echt irritiert, da ich das von meinem Sandhäuser Verein nicht kenne. Da waren wir wohl immer froh, wenn überhaupt jemand zum Zuschauen gekommen ist. Naja, durch diese hohen Anforderungen habe ich aber wirklich das Gefühl, mich zu verbessern und im Endeffekt tut es mir auch immer gut mich nach der Arbeit noch auszupowern.
Wenn ich nicht Fußball spiele, treffe ich mich sehr gerne mit Freunden. Natürlich ist es am Anfang nicht leicht Freunde zu finden. Die ersten Wochen war ich sehr erschöpft von den ganzen neuen Eindrücken. Schließlich kommt man in ein fremdes Land, mit einer „fremden“ Sprache und fremden Leuten. Vor allem am Anfang war mit mir abends nichts mehr anzufangen. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an längere Arbeitstage und die Energie kommt zurück. Und ich bin sehr froh, dass ich ganz gut Französisch spreche. So ist es für mich doch recht leicht, Menschen anzusprechen und neue Kontakte zu knüpfen.
Viel Zeit verbringe ich mit einer anderen Freiwilligen und ich würde sagen, dass sich hier schon eine bleibende Freundschaft entwickelt hat. Zusammen haben wir dann die Stadt erkundigt. Aber wir sind auch noch dabei. Auch nach vier Monaten gibt es noch unzählige Dinge, die auf unserer Bucket-List stehen. Ich denke, das wird sich auch über das Jahr wenig verändern. Darüber hinaus habe ich aber auch ein paar französischsprachige Freunde gefunden. Mir ist einfach klar, dass man manchmal eben selbst nach einem Treffen fragen muss. Man muss aus seiner Comfort- Zone hinaus, aber dann wird man mit tollen Menschen und neuen Begegnungen belohnt.
Mir persönlich tut es aber auch gut zu wissen, dass meine Freunde und meine Familie nicht allzu weit weg sind. Wenn die Deutsche Bahn keine Faxen macht, dann brauche ich nur ca. 4 Stunden bis nach Hause. Bald ist Weihnachten und ich freue mich sehr über die Weihnachtszeit nach Hause zu fahren. Ich fühle mich hier in Brüssel wirklich wohl, aber da ich nicht mehr zuhause wohne, ist die Zeit mit meiner Familie auch sehr wertvoll geworden. Außerdem freue ich mich auf das gute Essen. Bevor ich hier nach Brüssel gezogen bin, habe ich mich nicht so viel mit dem Thema „Kochen“ auseinandergesetzt. Aber als ich dann plötzlich allein in der Küche stand, war ich mehr oder weniger dazu gezwungen. Ich suchte verschiedene Rezepte heraus und probierte mein Bestes. Ich koche jetzt fast jeden Abend, aber wenn ich ehrlich bin, esse ich noch sehr eintönig. Mein neues Lieblingsessen ist Couscous mit Pilz-Sahne- Sauce. Ich fühle mich dabei etwas besser, als wenn ich nur Nudeln mit Pesto esse. Aber das darf natürlich auch nicht fehlen!! Trotz meinen Fortschritten bei dem Thema, freue ich mich auf das, man kann schon sagen, weihnachtliche Festmahl zuhause.
Im Großen und Ganzen würde ich sagen, dass ich jetzt nach 3-4 Monaten am Ankommen bin. Ich weiß welche Metro ich nehmen muss, wie meine Arbeit funktioniert und wann die besten Tage zum Einkaufen sind. Ich erlebe viel und habe das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit gefunden. Ich freue mich auf die Monate die noch kommen. Vor allem wenn es dann irgendwann auch wärmer wird. Dann fahr ich auf jeden Fall mal ans Meer oder nach Antwerpen, Brügge oder Gent.
Gegen Ende dieses ersten Briefes wollte ich mich noch bei all den Menschen bedanken, die mich bei dieser Reise unterstützen. Vor allem bei meiner wunderbaren Mama. Ohne sie würde ich jetzt nicht hier stehen. Aber mein Dank geht natürlich auch an all die Paten und Patinnen, die es überhaupt ermöglichen, dass junge Menschen wie ich so eine großartige und einzigartige Erfahrung machen dürfen. Danke, dass ihr mich bei diesem Abenteuer begleitet. Mein Dankeschön geht auch an den Europäischen Solidaritätskorps, der mich sowie unzählige weitere Freiwillige fördert. Und zu guter Letzt danke ich natürlich ASF. ASF macht es möglich, dass wichtige Freiwilligenarbeit mit tollen Erfahrungen, Begegnungen und ganz viel Spaß verbunden wird.
Mein 2. Freiwilligenbericht erscheint dann im Sommer. Bis dahin wünsche ich euch allen eine gute und glückliche Weihnachtszeit und für das kommende Jahr nur das Allerbeste.
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