Aktion Sühnezeichen Friedensdienste – Sofie Gebhardt berichtet aus Belgien
(sg – 11.7.25) Mein Jahr in Brüssel neigt sich tatsächlich dem Ende zu. Ein Jahr voller besonderer Begegnungen, einzigartiger Erlebnisse und lehrreicher Erfahrungen. In diesem zweiten Bericht möchte ich gerne auf mein Jahr hier in Belgien zurückblicken und besondere Momente mit euch teilen.
Zuerst zu meiner Arbeit. Mein Aufgabenbereich hat sich über die Monate nicht groß verändert. Das heißt ich kümmere mich immer noch um unsere Bibliothek und um die vielen verschiedenen Bücher, über die unser Museum verfügt. Stapel umzingelten mich am Anfang des Jahres. Kein Ende war in Sicht. Doch mit der Zeit arbeitete ich mich voran. Mehrere 100 Bücher wurden online registriert, beschriftet und zuletzt in die Bibliothek einsortiert. Ich sehe nun deutlich, wie mein Schreibtisch sich gelehrt hat.
Außerdem habe ich immer mal wieder Kontakt mit alten und preziösen Gegenständen. Letze Woche musste zum Beispiel eine Torah aus den 20er Jahren mit viel Achtsamkeit gesäubert werden. Dafür hatten wir einen speziellen Staubsauger und einen kleinen Pinsel. Ich durfte mir das ganze anschauen und sogar selbst probieren.
„Wir können Mitgefühl für die Geiseln haben und gleichzeitig die Vorgehensweise Israels im Gaza-Krieg kritisieren.“ – Jouanna Hassoun, (Geschäftsführerin des humanitären Bildungsvereins Transaidency e.V.)
Auch haben wir unsere Ausstellungsräume komplett leergeräumt, da bald die Bauarbeiten beginnen. Wertvolle Gemälde mussten abgehängt und in unser Depot einsortiert werden.
Ein schönes Event war dann auch unser Festival Namens „Metamorphosis“. Trotz dessen, dass unser Museum geschlossen ist, haben wir im Stadtpark von Brüssel ein eigenes kleines Musik- und Kunstfestival auf die Beine gestellt. Das Projekt lud dazu ein, sich mit den fortwährenden Veränderungen auseinanderzusetzen, die unsere Identitäten, unsere Körper und unsere Gesellschaften prägen. Besonders berührt haben mich zwei Frauen, die mit Ton und Wasser eine künstlerische Perfomance zeigten. Die eine aus dem Iran, die andere jüdisch. Israel griff den Iran am Abend zuvor an. Natürlich spüren auch wir hier im jüdischen Museum deutlich die Auswirkungen des Nahostkonflikts.
Unser Museum hat nichts mit dem Staat Israel zu tun und distanziert sich klar von dem inhumanen Vorgehen Israels im Gazastreifen. Dennoch spüren wir den ansteigenden Antisemitismus. Ich bin so nah dran, wie noch nie. Ich soll mich beeilen, wenn ich das Museum verlasse oder betrete. Ich sehe die Polizisten, die unser
Museum bei einer Demo schützen. Ich merke, wie komplex der Konflikt ist und wie wenig ich darüber weiß. Ich weiß jedoch, dass Leid nicht gegeneinander ausgespielt werden darf. „Wir können Mitgefühl für die Geiseln haben und gleichzeitig die Vorgehensweise Israels im Gaza-Krieg kritisieren.“ – Jouanna Hassoun, (Geschäftsführerin des humanitären Bildungsvereins Transaidency e.V.) Es hat mich geprägt im jüdischen Museum von Belgien zu arbeiten. Nicht nur in Hinsicht auf den Nahostkonflikt. Ich hatte damals ein bisschen Angst davor, wie es wohl sein würde, als Deutsche in ein jüdisches Museum zu kommen.
Ich arbeite hier mit Menschen zusammen, deren Vorfahren von meinen Vorfahren verfolgt und ermordet wurden. Mein Kollege Philippe erzählte mir einmal, dass sein Opa von einem Zug Richtung Auschwitz sprang, um zu entkommen. Zur gleichen Zeit las ich die Biografie meines eigenen Opas, der der Hitlerjugend angehörte. Ich aber wurde mit den offensten Armen empfangen. Philippe versicherte mir zum Beispiel, dass ich ihn immer anrufen könne, wenn was ist. Er würde mich nachts immer nach Hause fahren und bot mir an mit mir einkaufen zu gehen, falls mir mal das Geld ausgehe.
Diese Offenheit mir gegenüber gibt mir Hoffnung. Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft, Hoffnung auf ein offenes Miteinander und Hoffnung auf eine Welt, in der Liebe über den Hass geht.
Jetzt aber noch zu meinem Leben außerhalb der Arbeit. Ich genieße Brüssel, wie nie zuvor. Der Frühling und der Sommer haben die Stadt nochmal richtig aufleben lassen. Aber ich habe auch andere Städte in Belgien entdeckt. Antwerpen, Brügge und Gent sind wirklich tolle Städte. Aber auch nach der Arbeit einfach ans Meer zu fahren, ist ein wunderbares Gefühl. Da Brüssel so zentral liegt, ist es auch nicht weit nach Amsterdam und London! Das muss natürlich ausgenutzt werden. Ich habe viele neue Orte und Städte entdeckt und gemerkt, was für einen Spaß das macht. Aber vor allem habe ich Brüssel in mein Herz geschlossen. Wenn ich an einem warmen Sommerabend durch Brüssel schlendere und mich dann in eine belebte Bar setze, fühlt sich das an wie Urlaub. Ich genieße es sehr mir ein Urlaubsgefühl in meinen Alltag holen zu können.
Auch habe ich erfolgreich die Saison mit meiner Fußballmannschaft abgeschlossen. Das letzte Spiel war wirklich der Hammer. Ich habe sehr viel gespielt und wir haben gemeinsam als Team gewonnen. Der Abschied war dann schon auch ein bisschen schwer. Ich hätte gerne mit den Mädels in der nächsten Saison noch eine tiefere Bindung aufgebaut und weiter an gemeinsamen Zielen gearbeitet. Aber ich werde mit dem Fußball weitermachen und freu mich schon auf mein neues Team in Bochum
Freundschaften, die ich am Anfang des Jahres geschlossen hatte, haben sich nochmal vertieft. Charlotte (eine andere Freiwillige aus Münster) und ich sind wirklich durch dick und dünn gegangen. Ich bin unendlich dankbar sie hier an meiner Seite gehabt zu haben. Auch zu Alexandre (Praktikant im Museum) habe ich eine tiefe Freundschaft entwickelt. Er hat sein Praktikum bereits beendet, aber wir versuchen uns trotzdem noch regelmäßig zu sehen. Er hat mir meine Zeit im Museum deutlich verschönert. Vor allem weil wir so viel zusammen gelacht haben
Es lief natürlich nicht immer alles perfekt, aber ich denke das ist ganz normal. Manchmal hatte ich mit sehr eintönigen Aufgaben auf der Arbeit zu kämpfen und manchmal habe ich einfach zu Hause vermisst. Wenn ich aber darauf zurückblicke, was ich geschafft habe, bin ich auch ein bisschen stolz. Ich bin zum ersten Mal in eine eigene Wohnung gezogen und habe gelernt einen Haushalt zu schmeißen. Ich bin umgeben von einer Sprache, die nicht meine Muttersprache ist und ich komme sehr gut damit zurecht. Ich koche mehr als Nudeln mit Pesto und habe es geschafft in einem Jahr mich in eine komplett neue Umgebung einzugliedern. Ich bin ein bisschen mehr erwachsen.
„Mama sagt, sie glaubt, ich weiß jetzt, wie das alles funktioniert Aber ich meld‘ mich, wenn ich wein’n muss, immer noch zuerst bei ihr“ – Nina Chuba (Sängerin)
Ich freue mich jetzt auf ein neues Kapitel. Wie vorhin schon kurz angeschnitten geht es für mich nach Bochum. Ich werde dort anfangen Physiotherapie zu studieren. Ein Beruf den ich mit meiner Liebe zum Sport verknüpfen kann. Gleichzeitig habe ich hier gelernt, dass ein Bürojob eher nichts für mich ist. Manchmal war es wirklich schwer für mich den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen. Deshalb freue ich mich auf einen sozialen Beruf, bei dem ich viel in Kontakt mit Menschen bin.
Ich bin sehr froh, dass ich dieses Jahr in Brüssel erleben durfte. Ich liebe es mich in neue Herausforderungen zu stürzen und mich in eine komplett neue Umgebung einzuleben. Ich liebe französisch und genieße es diese Sprache hier jeden Tag zu sprechen. Es gab Höhen und Tiefen, aber im Endeffekt bin ich genau da, wo ich sein möchte.
Ich danke allen Menschen, die das für mich möglich gemacht haben.
Ich möchte mich von Herzen bei meinen Patinnen und Paten für ihre Unterstützung bedanken. Ebenso gilt mein aufrichtiger Dank den Organisationen ASF und ESK, die dieses besondere Engagement in die Wege geleitet und mich während des Jahres begleitet haben.
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